Nada Brahma – „Gott ist Schwingung“ oder „die Welt ist Klang“ ist eine zentrale Vorstellung altindischer Philosophie. Die Ansicht, dass das Gewebe des Kosmos ein interaktiver Tanz feinster Schwingungen sei, findet sich bereits im Natya Shastra, einem Grundlagenwerk der indischen Kunsttheorie, das wahrscheinlich zwischen 200 v. Chr. und 200 n.Chr. entstanden ist – und sie wird von der modernen Physik heute eindrucksvoll bestätigt.
Im Natya Shastra wird dargelegt, dass sich alle menschlichen Gefühle auf acht essenzielle emotionale Qualitäten zurückführen lassen: Liebe, Heiterkeit, Mitleid, Schrecken, Mut, Furcht, Ekel und Erstaunen. Im Alltag durchleben wir diese Gefühle in den verschiedensten Mischungen. Wenn aber beim Musizieren eine essentielle Emotion zum Ausdruck kommt, wird es möglich, sie ohne persönliche Betroffenheit in Reinform zu erleben. Durch dieses Erleben, genannt Rasa (wörtl. „Saft“ oder „Essenz“), kann sich die Identifizierung mit der begrenzten individuellen Persönlichkeit lösen und ein Zugang zu transpersonaler Glückseligkeit öffnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein „angenehmes“ (z.B. Heiterkeit) oder ein „unangenehmes“ (z.B. Ekel) Rasa handelt – wenn das Erleben bis zur Essenz geht, dann wird jedes Rasa zur transformierenden Kraft, die das kleine Alltags-Ich auflöst und mit dem großen Ganzen verschmilzt.
Raga und Tala, Melodie und Rhythmus, sind die Seele und das Herz der klassischen indischen Musiktradition. Das Sanskrit-Wort Raga leitet sich vom Verb „ranj“ ab, das „färben“ bedeutet. Ragas sind melodische Strukturen für Improvisation und Komposition, die bildlich gesprochen den Geist färben, also eine bestimmte seelische Wirkung auf die Zuhörer haben sollen. Tala bedeutet wörtlich „Klatschen“ und bezeichnet die rhythmische Ebene, den lebendigen Pulsschlag, in dem sich die Musik entfaltet.
Yogendra